Gleich vorweg:
Ich habe nicht das Fürchten gelernt, wie es im gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm geschrieben steht.
Während der junge Mann im Märchen sich nicht fürchten kann und daher nicht versteht, was Furcht bedeutet, weiß ich das nur zu gut. Und damit meine ich nicht den Bammel vor der zu groß geratenen Spinne, die vor dem nasskalten Wetter der letzten Tage in meine Wohnung flüchtete und sich gerade in die Ecke meines Büros kuschelt.
Ich meine die Angst vor Veränderung. Das Bangen, vor dem nächsten großen Schritt. Den kurzen Moment gefühlter Lähmung, bevor wir wieder ein Stückchen über uns selbst hinauswachsen.
Der Vater im Märchen macht sich um seinen Sohn Sorgen, da er es für eine wichtige Lebensgrundlage hält zu wissen, was Angst ist.
Ich halte es mit der Angst genauso. Mit ihr ließ ich alles zurück und wagte den großen Schritt in den hohen Norden. Und jetzt nehme ich sie, zusammen mit einem riesigen Schatz wundervoller Erfahrungen, wieder mit zurück.
Denn mit der gewissen Portion Bammel machen wir alles viel bewusster.
Zum Beispiel sich mit einer Profikamera in eine hundert Mann starke Hochzeitsgesellschaft stürzen und lächelnd Befehle erteilen wie: „Rück mal näher an deinen Schatz, sooo, genau … und jetzt alle Mann Köpfe zusammen uuuund … CHEESE!!!“
So erfuhr ich jede Menge über die Hochzeitsfotografie ...
Ob bei einer Wattwanderung mit Braut und Bräutigam, einer Trauung auf der Robbenbank oder einer Heirat auf dem Segelschiff. Ich erkannte, wie wunderbar unterschiedlich unser Leben, unsere Liebe und damit auch die Bedeutung von Glück ist. Und erst durch eure Lebens- und Liebesgeschichten, die ich in den letzten Monaten erzählt bekam, sind jede Menge neue Märchen entstanden (an dieser Stelle übrigens ein dickes Dankeschön an alle Standesbeamtinnen – und die zwei Standesbeamten. In Wahrheit seit ihr wahre Poeten)!
Was meine Furcht betrifft, so gebe ich zu, hat mich weder ein Pfarrer, verkleidet als Gevatter Tod, auf den Kirchturm geschickt, noch habe ich mit Geistern eine Nacht unter dem Galgen verbracht. Und bis jetzt habe ich noch kein nordisches Schloss vom Spuk befreit.
Aber auch, wenn ich meinen eigenen neuen Aufgaben furchtlos begegnete, wie der Junge im Märchen seinen, war mir in meiner neuen Heimat doch wie ihm manches ein Rätsel. Und es gab eine Zeit, da fühlte ich mich genau wie er verzaubert in einer Spiegelwelt, aus der ich fast keinen Ausgang fand.
Aber, wenn ihr wie ich schon viele Märchen gelesen habt (und die Leidenschaft für sie immer noch brennt), dann wisst ihr auch, dass es auf jedem Weg Helfer und Helferlein gibt, die jedem von uns neue Wege weisen.
Zum Glück bekam ich keinen Eimer kalter Fische ins Gesicht, wie der Held in unserem Märchen.
Nur, das Licht meines Leuchtturms zeigte plötzlich in eine andere Richtung.
Mit diesem unruhigen Kribbeln im Nacken (also Bammel) wusste ich mit einem Mal, dass es an der Zeit ist, einen Schritt zurückzutreten und die letzten Monate mit Abstand zu betrachten. Natürlich mit der beruhigenden Gewissheit, dass mein Turm noch für lange Zeit sicher in Falshöft steht und auf mich wartet. Wie auf die über hundert glücklichen Paare, die sich auch im kommenden Jahr in seiner Turmspitze das Ja-Wort geben werden. Da bin ich mir sicher.
Mit diesem Wissen im Herzen werde ich nun den Norden, das Meer, meinen Turm verlassen. Sein Licht leuchtet für mich. Und wenn ich meinen neuen Weg zurückgegangen bin und meine neuen Aufgaben, die in der alten Heimat auf mich warten, an- und ausgepackt habe, wird mich sein Leuchtfeuer zurückrufen. Da bin ich mir genauso sicher.
Für Dich ändert sich übrigens nichts. Viele neue Geschichten warten. Gemeinsam mit einem neuen Projekt:
Märchen & Meditation.
Zusammen "mit Zwergen werden wir durch Täler wandern, um uns mit Riesen auf Gipfel zu schwingen, unserer Angstwolke dabei zusehen, wie sie immer kleiner wird und fröhlich, wie eine Sternschnuppe über den Himmel zieht …"
Aber dazu mehr in meinem nächsten Blog.
Bis bald!
Eure Simone
SAM Wolf